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Grundlagen von Akupunktur und verwandten Verfahren


Sucht und Akupunktur


Integrative Therapie ausgewählter Suchterkrankungen

Seit mehr als 2000 Jahren sind Alkohol und Opium als Suchtmittel bekannt. Aber auch Akupunktur wird seit mehr als 2000 Jahren praktiziert. Trotzdem sind keine Aufzeichnungen über Suchtbehandlungen mittels Akupunktur bekannt. Auch erfolgte keine Lehre über die Suchtbehandlungen in den TCM-Kliniken der 70er Jahre. Man kann wohl daraus mit Recht schlussfolgern, dass in der Traditionellen Chinesischen Medizin, zumindest aber im Altertum, keine Suchttherapie etabliert war.

Hinterfragt man dagegen die Disharmoniemuster in der TCM, dann zeigt sich, dass Suchtsymptome wohl sehr genau beschrieben wurden und entsprechend auch behandelt werden konnten. Die meisten Suchtkranken zeigen die Symptomatik eines überschießenden Yang. Vornehmlich finden sich vegetative Störungen wie Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, diffuse Schmerzen, Muskelzittern, extreme innere Unruhe, Schlafstörungen, aber auch psychische Zeichen wie übermäßige Aggressivität, Ängstlichkeit, nicht selten sehr viele Worte bis zur wirre Sprache.

Der Grund für diese überschießende Symptomatik liegt in einer grundlegenden Schwäche des Patienten, in einer YIN-Leere und nicht in einer YANG-Fülle. Die Traditionelle Chinesischen Medizin beschreibt diese Konstellation als Leere-Feuer, als ein Feuer ohne materiellen Aspekt, ohne den YIN-Aspekt, ein Feuer, das nicht wärmt. Der YIN-Aspekt und damit die YIN-Funktionen der verschiedensten Funktionskreise werden durch den chronisch destruktiven Lebensstil, den chronischen Konsum schädigender Stoffe, aber auch durch den Verlust sozial sichernder Strukturen, wie Familie, Arbeit, Wohnung, schließlich auch den Ernährungsmangel zunehmend geschwächt.

Vor allem der ruhige, innere Tonus geht den Menschen verloren, der Betroffene ruht nicht mehr in seiner Mitte, der Funktionskreis „Milz“ ist aus dem Gleichgewicht geraten. Oft beginnt der Prozess schon in Kindheit und Jugend. Fast alle Alkohol- und Drogenpatienten haben Erfahrungen massiver seelischer oder körperlicher, oft auch sexueller Gewalt in ihrer Anamnese. Die traumatische Erfahrung von Gewalt löst Angst aus und greift massiv den Funktionskreis „Niere“ an, aber auch den Funktionskreis „Herz“, schwächt damit das Shen, den Geist, die Seele. Angst und Hilflosigkeit durch Bedrohungen rufen Aggressionen hervor und erzeugen Wut und Zorn, belasten den Funktionskreis „Leber“, wenn sich der Mensch nicht wehren kann oder darf, weil sich beispielsweise das ganze innerhalb der Familie abspielt.

Das führt auf Dauer zu Selbstwertstörungen bis zur Selbstverachtung und Selbstentwertung. Die notwendige Trauer über diese Erlebnisse wird in Gewaltfamilien, aber auch bei posttraumatischer Belastungsstörung regelmäßig verdrängt und unterdrückt, kann nicht verarbeitet werden und wird dadurch nicht abgeschlossen, der Funktionskreis „Lunge“ wird nachhaltig gestört, die Persönlichkeitsentwicklung stagniert. Tab.1 zeigt die fünf mental spirituellen Aspekte der Funktionskreise der TCM und Tab.2 die Wirkung auf die QI-Zirkulation als Basis der Harmonie von YIN und YANG.

Tab.1: Mental-spirituelle Aspekte der Funktionskreise

  • Leber-Galle-FK ist Wurzel des Harmonisierens und Residenz der Wanderseele
  • Herz-Dünndarm-FK ist Wurzel des Lebens und Ursprung des Geistes
  • Milz-Magen-FK ist Wurzel des QI und Behausung des Denkens
  • Lunge-Dickdarm-FK ist Wurzel des QI und Heimstatt der Körperseele
  • Niere-Blase-FK ist Wurzel der Essenz und Behausung der Willenskraft

Tab.2: Wirkung auf die QI-Zirkulation


  • Leber-Zorn lässt das Qi aufsteigen
  • Herz-Freude verlangsamt seinen Fluss
  • Milz-Grübeln bindet das Qi
  • Lunge-Traurigkeit löst das Qi auf
  • Niere-Angst lässt das Qi absteigen

Das gesamte Pentagramm mit allen seinen Funktionskreisen ist an der Ausbildung der Disharmoniemuster bei Suchterkrankungen beteiligt, aber nicht nur bei diesen, sondern auch bei allen psychischen Erkrankungen, die wir zunehmend in unserem Patientengut finden. Nach Goldstein bezeichnet man als Suchtdisposition eine Dysfunktion des „Belohnungssystems“. Sucht ist demnach der Versuch, den durch Stressbelastung und Missstimmung entstehenden Mangel an körpereigenen lustauslösenden Botenstoffen, wie z. B. ß-Endorphin, und erhöhtem ACTH auszugleichen.

Leichte Formen der Sucht sind Nikotinsucht und Esssucht mit nachfolgender Adipositas, schwere Formen dagegen sind Alkoholsucht, Alkoholkrankheit, Drogensucht bis hin zur Drogensuchtkrankheit. Nach den vorab besprochenen TCM-Disharmoniemustern liegt es nahe, auch hier die Akupunktur wie bei psychosomatischen Störungen einzusetzen (s. a. Die Naturheilkunde 1/2012, S.46-47). Leider hat sich in der Praxis ein bedeutender Unterschied an den Betroffenen gezeigt: Der Suchtkranke kann und will sich nicht noch weiteren Übergriffen und Verletzungen aussetzen. Damit tritt die Körperakupunktur vorerst als inakzeptabel in den Hintergrund. Eine aus Sicherheitsgründende immer liegende Behandlungsposition wird nicht akzeptiert. Im Sitzen wird eine jegliche Behandlung als nicht so hilflos ausgeliefert empfunden. So liegt es nahe, die Ohrakupunktur in Erwägung zu ziehen.

Und tatsächlich hatten schon 1973 die Hongkonger Ärzte Wen H. und Cheung S. im Asian Journal of Medicine beschrieben, dass Elektro-Ohr-Akupunktur am Ohr-Punkt „Lunge“ die Entzugssymptomatik und die Entgiftung Opiumabhängiger erheblich erleichtert. Daraufhin behandelte man in der Drogenambulanz des staatlichen Lincoln Hospitals in Bronx/New York drogenabhängige und psychiatrisch auffälligen Patienten mit dieser Methode und probierte weitere Ohr-Punkte aus. So entwickelte man eine einfache und effektive Kombination von fünf Ohr-Akupunktur-Punkten und einen geeignetes Rahmen für eine wirkungsvolle ambulante und stationäre Entzugsbehandlung Suchtkranker.

Die Wirksamkeit der Ohrakupunktur mit Elektrostimulation war unbestritten. Aber Ohrakupunktur ohne Elektrostimulation wirkte besser. Es war sogar eine Entgiftung mittels der Nadeln möglich. Selbst bei reinem Heroin wirkte das Verfahren sehr gut. Nur bei Polytoxikomanen zeigte sich die Wirkung erst in Kombination mit der traditionellen Körperakupunktur. Die Ohrakupunktur war unabhängig von der Droge und wirkte selbst bei schwierigsten psychiatrisch gestörten Patienten generell unspezifisch sedierend.

Das Therapieschema der Lincoln Clinic in Bronx wurde in den 1980er Jahren zu einem Modell, das sich in den USA als „Behandlung nach dem NADA Protokoll“ etablierte. NADA ist die Abkürzung für National Acupuncture Detoxification Association. Die NADA selbst wurde 1985 in New York gegründet, um diese Behandlung zu etablieren, sie wissenschaftlich zu evaluieren und für eine gute Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet zu sorgen. NADA ist aber auch ein spanisches Wort und heißt NICHTS. Es wird ohne Stoff behandelt, aus der Sicht eines Stoffabhängigen also bezeichnenderweise mit Nichts.

Eine Deutsche Sektion der NADA wurde als NADA Deutschland 1993 gegründet. Neben dem quasi Erfinder Michael O. Smith gehörte auch das Ehrenmitglied der DGfAN, Jochen Gleditsch, zu dem Gründungsmitgliedern. Derzeit ist die NADA im Bereich der ambulanten und stationären Suchtbehandlung aktiv und erfolgreich und bildet auch Teams von allgemein-psychiatrischen Abteilungen aus. Somit wird das sogenannte NADA Protokoll verstärkt in die Behandlung suchtkranker Patienten integriert. In Deutschland wenden mehr als 230 ambulante und stationäre Einrichtungen wie Tageskliniken, Drogen- oder Alkoholambulanzen, Krankenhäuser, allgemein-psychiatrische Abteilungen, Rehakliniken, Gefängnisse und Schwerpunktpraxen Akupunktur als ernsthaften Bestandteil in der Behandlung von Alkoholkranken, psychiatrisch Kranken sowie drogen- und medikamentenabhängigen Patienten an.

Das Kernstück des NADA Protokoll sind die fünf Ohrpunkte in Abb.1:


OP 97 – Leber (Element Holz, Funktionskreis Leber)
OP 55 – Shenmen (Element Feuer, Funktionskreis Herz)
OP 51 – Vegetativum I (Element Erde, Funktionskreis Milz)
OP (Areal) 101 – Lunge (Element Metall, Funktionskreis Lunge)
OP 95 – Niere (Element Wasser, Funktionskreis Niere)

Ergänzen kann man die Ohrakupunktur nach dem NADA Protokoll zur Entgiftung mit den klassischen Körper-Akupunktur-Punkten Körperakupunktur LG 20, PaM 1, Di 4, Ma 36 und Le 3 als Basisvariante, zusätzlich haben sich bewährt: KG 15, Bl 10, Bl 62, Gb 20, Ni 6 und NeuP 28. Damit verlässt man allerdings die Grundprinzipien des NADA Protokoll, zu denen folgende Besonderheiten zählen:

Tab.3: Rahmenbedingungen zum NADA Protokoll

  • Die Behandlung findet in der Gruppe statt
  • Die Patienten sitzen
  • Die Behandlungszeiten liegen fest
  • Die Atmosphäre im Behandlungsraum soll non-konfrontativ sein
  • Jeder Patient wird akzeptiert
  • Patienten dürfen auch ohne Nadeln im Raum sitzen (um mal zu sehen, was passiert)
  • Die Behandlung sollte anfangs bis zu zwei Wochen täglich stattfinden
  • Die Patienten trinken täglich mehrfach einen Tee aus 6 Kräutern (Detox-Tee: schmeckt sehr angenehm und hat zugleich eine beruhigende Wirkung)
  • Patienten haben die Möglichkeit zu Therapie und Beratung


Tab.4: Wirkungen der Ohrakupunktur im NADA Protokoll


  • Linderung vegetativer Entzugsbeschwerden wie Schmerzen, Übelkeit, Tränenfluss, innere Unruhe, Herzrasen, exzessives Schwitzen
  • führt zu körperlicher und seelischer Stabilisierung
  • verbesserte Konzentration bei gleichzeitiger Entspannung
  • reduziert Stress, Unruhe, Aggressivität
  • reduziert Ängstlichkeit
  • Schlafregulation, Schlafvermittlung
  • vermindert das Suchtverlangen bei sämtlichen Suchtstoffen
  • erhöht die Haltequote im Entzug
  • macht Medikamente im Entzug weitestgehend unnötig
  • verkürzt die Entzugssymptome
  • vermindert bzw. verhindert Krampfanfälle im Entzug
  • schafft einen Zugang zum Patienten


Tab.5: Dauer der Entgiftung unter Akupunktur


  • 2 Tage für alkoholisches Prädelir
  • 2 Wochen für Polytoxikomane
  • 6 Wochen für Benzodiazepinabhängige
  • Länger für Methadonabhängige
     
  • Behandlung 2x täglich
    Liegedauer: Ohrnadeln 45 min – Körpernadeln 20 min


Damit ist für den ambulant tätigen Akupunkteur eine Erweiterung seines Therapiespektrums auf alle gestressten, psychisch und psychosomatisch gestörten und psychiatrisch Kranken von der akuten Stressbewältigung des Managers bis zur Therapie von ADS/ADHS-Kindern möglich, natürlich nur in Kombination mit anderen bewährten Therapieansätzen. Bei der sinnvollen Modifizierung in der Umsetzung der Nadeltechnik, z. B. „geklebten Kügelchen“ bei Kindern, ist der Phantasie des Therapeuten keine Grenze gesetzt.

Insgesamt nochmals eine großartige Therapieoption, leider auch nicht in den curricularen Ausbildungsrichtlinien der (M)WBO, Kursbuch Akupunktur, enthalten. Nichts desto weniger für alle lehrbar, lernbar, reproduzierbar, auf jeden Fall in den Kursen der DGfAN.

Getreu unserem Motto: Wir machen Sie fit für die Praxis der Zukunft!


Dr. med. Reinhart Wagner
Facharzt für Allgemeinmedizin
Facharzt für Sportmedizin
Akupunktur, Chirotherapie, NHV
Kuhbacher Hauptstr. 71
77933 Lahr
dr.wagner@dgfan.de

Literatur beim Verfasser


Aktualisiert am: 17.10.2013


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